Endlich mal wieder ... Hi!
Heute mit einem Album einer Formation, die allen Jazzkonventionen zum Trotz pophaften Bandcharakter mit entsprechender Atmosphäre erzeugt und die Jazzwelt auf den Kopf gestellt hat. Erfrischend leichtfüssig, unverstellt und doch so verspielt jazzig, wie wir es von einem Jazz-Trio erwarten.
1999. Sommer. Wir sind stramm auf dem Weg in das neue Jahrtausend. Mein ehemaliger Mitbewohner und ich ziehen durch das sommerlich, nächtliche Oldenburg. Sind wohl auf dem Rückweg nach Hause oder so. Wir ertappen uns dabei, wie wir waghalsig über einen ziemlich hohen Zaun mit Begrünung drum herum klettern.
Da ist Musik.
Die klingt gut.
Da wollen wir hin.
Wohlmöglich eine private Party oder so. Auf jeden Fall mit ziemlich viel Frauenüberschuss. Ehrlich gesagt nur Frauen.
Interessiert uns seltsamerweise wenig. Die Band ist gut. Die ziehen uns beide an wie das Licht die Motten. Die Band spielt gerade nen Cover von den RHCP als wir in der Partyrunde eintreffen. Nach dem Auftritt oder war es in einer Spielpause quatschen wir die Band an.
Gitarrist und Drummer werden in den nächsten Jahren treue Wegbegleiter, Freunde und musikalische Impulsgeber.
Die Party entpuppt sich übrigens als Krankenschwesternparty (Hallo, hallo!).
Einige Wochen später reibt mir Yanni, der Gitarrist der Krankenschwesternpartyband, das Esbjörn Svensson Trio - kurz EST oder E.S.T. - unter die Nase. Es dauert eine Weile, bis ich warm werde mit der Musik. Doch spätestens nach dem ersten Konzertbesuch war's klar: was für eine großartige Combo, was für tolle Musik, was für Stimmungen!
Yanni und ich - uns verbindet seither eine Freundschaft und feste musikalische Bande - sind in den Jahren auf verschiedenen Konzerten des Trios. Open Air, einmal im Modernes in Bremen, einmal im KITO. Ebenfalls HB. Im KITO spielt das Trio ihr 2000 erschienenes Album "Good morning Susie Soho" und noch einige Nummern mehr. Eben auch solche aus dem, meiner Meinung nach, legendär bahnbrechenden Album "From Gagarin's point of view". Mit diesem Album brachte mein Kumpel Yanni mir den Triojazz auf ganz neuer Ebene ins Gehör. Elektronische Elemente, so geschickt und passend eingesetzt, dass sich die Musik von diesem abgehörten, plakativen 90er Elektrojazz empfindlich abhob. Ein Sound fragil und im nächsten Moment kraftvoll und unbändig.
Die Art wie Dan Berglund, der Bassist, seinen Line 6 POD einsetzt im KITO, Esbjörn in den präparierten Flügel greift und Magnus sein auf den ersten Blick bescheidenes Drumset bearbeitet, entfachen ein buntes und breites Spektrum der Emotionen, Stimmungen.
Der Beginn von "The return of Mohammed" auf dem Album ist zum Beispiel so wunderbar leichtfüssig und positiv. Der Sound unverstellt und durchsichtig. Ganz klar. Dann setzt Esbjörn im Solo an und singt seine Solophrasen mit. Ohne Extramikro. Die Stimme klingt peripher, quasi als Begleiterscheinung. Ok, wir kennen das Ding bereits von Jarretts "Köln Concert". Dinge müssen nicht neu sein, um emotional zu berühren!
"Dodge the Dodo" hämmert in den ersten Sekunden wie ein metallener Dampfhammer, das Klavierthema spült förmlich über alles hinweg und Magnus setzt sein Drumset als Führungsstimme ein. Etwas, was mir eben bei EST besonders auffiel: es gibt halt auch Drummer, die spielen ihre eigene Stimme in der Partitur, nicht nur den Beat.
Magnus hat mich vor allem im KITO umgehauen. In dem kleinen Jazzspeicher war er dem Publikum ganz nah, wir konnten ihm auf die Finger schauen und der Sound war trocken und voll. Sein Drumspiel hat mich jedes Mal gefesselt. Im KITO war dann auch klar, wie viel Klimbim er neben dem eigentlichen Drumset dabei hatte. Eine wunderbar bunte (Klein-) Percussionbatterie.
Als ich "Gotland" und das "Gagarin ..."-Album meinem Musikprofessor, einem Kunstmusiker, in der Uni zum Reinhören gebe, meldet er mir beide Alben mit folgenden Worten zurück: "Dieses Gotland-Ding ist mir zu sakral, aber das andere ist wirklich gut. Der Schlagzeuger ist ja toll. Danke, Kai!"
Gerne, Peter! :)
Ehe ich das Album in den Händen hielt, führte Yanni mir die Titelnummer vor. Laut, in seiner Junggesellenbude. Wir standen iwo zwischen Esszimmer und Flur. Das weiß ich noch ganz genau.
"From Gagarin's point..." ist atmosphärisch, schwebend, wabernd und offen. Magnum hält die Linie mit einem straighten Snareklick und er und die übrigen beiden spinnen ihren Sound darum. Das Klavierthema... wieder eine Offenbarung. Sicherlich die Melodie an sich, aber ehrlich gesagt ist es vor allem Esbjörns Art wie er phrasiert und artikuliert. Ich mag hier nicht näher darauf eingehen.
Hört einfach selber rein!
Nehmt Euch Zeit und macht es Euch dämmrig drum herum. Kopfhörer sind empfehlenswert. Und nur hören, nix nebenher. Aber das trifft wohl auf alles intensive Musikhören zu. Dazu musst Du nicht erst Jazz hören. :)
Es gab Nächte, da hab ich wach im Bett gelegen und hatte die Titelnummer auf den Ohren. Immer und immer wieder.
Live waren EST ebenfalls eine Innovation im Jazz: unkonventionell, bunt, Nebel, Lichteffekte wie im Pop und dann doch so schlicht und die Tradition würdigend. Nach jedem der erlebten Konzerte waren sie für das Publikum da und unterhielten sich. Das Poster (Bild oben) händigten mir die drei nach einem kurzen Gespräch nach dem KITO-Konzert aus. Es hängt bis heute in meinem Musikraum und Esbjörn strahlt mit seinem unverstellt-natürlichen Lächeln durch den Raum.
Ich mag vor allem die langsamen, balladenähnlichen Nummern von EST. Sie sind so schön offen, weit und greifbar. Das lyrische Element gefällt mir dabei. Die Musik erzählt und erzählt ... Das ist phantastisch!
Wenige Jahre später sitzen wir in Bremen auf einer Familienfeier, als ein Familienmitglied einen Anruf aus dem Büro erhält und nach draussen geht. Sichtlich niedergeschlagen und schockiert kehrt mein Schwager zurück. "Esbjörn ist tot. Taucherunfall..."
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Die drei Punkte stehen tatsächlich für eine Pause. Während ich den letzten Absatz tippe kommt die Erinnerung wieder und ich dämmere davon. Die letzten Sekunden von "Southwest Loner" laufen gerade und ich merke, wie traurig mich die Gewissheit macht: das ist vorbei. Das wird es so nicht mehr geben.
Viel zu kurz war die Zeit für die Drei als Band. Für Esbjörn als Musiker, Familienmensch sowieso. Esbjörn wurde 44 Jahre alt.
Das erste Mal wahrgenommen hatte ich Esbjörn ein paar Jahre zuvor als Rhodesspieler in der Funk Unit von Nils Landgren. Er trug noch langes Haar, zusammengebunden mit einem Stirnband. Sein Spiel mit dem charakteristischen Sound des Rhodes brachte live im Bremer Schlachthof eine extrem coole, psychedelische Note in die Musik der Funk Unit. Die Band hat so gail gerockt, das die Funken nur so sprühten. Esbjörn gab seinen fetten Teil dazu.
Alle Alben von EST sind tatsächlich hörenswert, keines gleicht einander und trotzdem ist ein eigener Stil, eine eigene Handschrift erkennbar. Mein Lieblingsalbum - dank lauter Musik für Krankenschwestern - ist "Gagarin's point of View". Danke Yanni & Andi!
Empfehlenswert für alle, die weiter eintauchen wollen, ist neben youtube-Videos schauen und im Netz lesen auch dieses Buch.
Der Autor selber stammt aus der gleichen Kleinstadt wie das Trio und kannte sie seit der Kindheit. Besonders beeindruckend beschrieben ist das "Musikwerden" der Drei in den Kinder- und Jugendjahren. Vielleicht ist das das Geheimnis dieser Aussnahmecombo!
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