Bevor wir abheben, muss ich etwas ausholen; wie das bei Geschichten so ist...
Es war so um 2002/2003. Ich immer noch Student und musikalisch umtriebig mit verschiedenen Formationen. Im Fachbereich Musik an der Uni gab es einige Bandformationen, die damals ordentlich aktiv waren. Schöne Zeiten!
Darunter zuckelten zwei kauzige Typen zusammen durch die Hallen von Kammermusiksaal bis in die Seminarräume. Mein Freund Alex und ich waren zwei weitere Sonderlinge. Zusammen mit einigen Kommilitonen mischten wir die Seminare in Kunstmusik, Musikpsychologie, -geschichte, Jazzharmonik und so auf. Den Lehrenden gingen wir entweder anständig auf den Zeiger oder belebten neben der angepaßten Variante des Musikstudenten jedes Seminar durch aktive Beteiligung kritische Nachfragen, zettelten Diskussionen an oder platzierten Fachwissen aus dem Selbststudium. Nein, Eigenlob stinkt nicht! Das Selbststudium mit Privatunterricht vor dem Uni-Studium ist ja vielleicht auch noch mal'ne Geschichte wert.
Alex und mir fielen die oben erwähnten Typen immer wieder auf. Ließen nicht jeden an sich ran. Alles auf Armlänge; wenn überhaupt. Trugen alte Trikotjacken. In knallbunten Farben. Eigentlich so Tocotronic Style. Optisch. Musikalisch eher Jazz. Die Band, mit der sie damals studentisch spielten hießen "Insanity 5". Und die hatten ne ganz fesche Sängerin...
Ich weiß nicht mehr, was der Auslöser war - entweder eine (be-) rauschende Studentenparty oder doch ein Auftritt inner- oder außerhalb des Unirahmens -, irgendwann brach das Eis und es fand eine
Annährung zwischen uns statt.
Jan und Jörg - beide völlig untypische Lehramtsstudenten - trafen auf Alex und mich - zwei fast
völlig untypische Magisterstudenten - und in den ersten Begegnungen war abchecken angesagt. Ist doch immer wieder das Gleiche: wer hat die dicksten..., lassen wir das.
Gottlob geht auch das mal vorbei und es entwickelte sich mehr, als bloßes Abgechecke.
Bei Jan und Jörg wurde im Studium immer klarer, dass es doch mehr in Richtung künstlerischer Werdegang gehen wird, anstatt als Pauker weiter die Schulbank zu drücken.
Es war dann um 2002, da machten Alex und ich uns auf den Weg, um Jan und Jörg im fernen Brandenburg - tief drin - bei Jüterbog auf dem Schloss Wiepersdorf zu besuchen. Die beiden hatten den Zuschlag für ein Künstlerstipendium erhalten und morchelten im heißen brandenburgischen Sommer zwischen Notenpapier und Instrumenten rum.
Das Bild zeigt einen Schnappschuss. Rechts im Bild Jörg, daneben Jan und links außen mein Kumpel Alex (RIP).
Wir laufen gerade Richtung Schloss, vermutlich ist gerade früher Abend und Zeit für's Essen.
Wir waren hier ein paar Tage zu Gast und großzügig eingeladen zu Kost und Logis. Lecker, lecker und danke nochmal!
Es war an einem Nachmittag - vielleicht ist dieses Photo (oben) an diesem Tag entstanden -, als wir beschlossen, uns die Umgebung näher anzusehen. Brandenburg. Ich will nix verteufeln. Aber zu der Zeit damals sah es in der Ecke ganz schön trostlos aus: viel Verfall, Schrott, noch mehr braches Land oder Acker und na ja eben ein Flugplatz.
Wir bogen von der Landstrasse ab und landeten auf einem Waldweg. Der führte uns - wie von Geisterhand gelenkt - zu diesem Flugplatz. Wir hatten es nicht drauf angelegt. Zufall!
Um uns herum war alles still. Alles hier schien leer und verlassen. Wir stiegen aus und machten uns auf Erkundungstour.
Zeugnis bilden leider nur wenige Bildaufnahmen, die ich hier im Blog platziert habe. Es war heiß, die Sonne stach und wir glaubten unseren Augen nicht: überall Flugkram, kleinere Maschinen und dann eben dieser eine Doppeldecker, der uns sofort in seinen Bann nahm.
"Bei Euch sind aber alle Ampeln auf rot!", tönte es nach einiger Zeit unvermittelt in die Stille. Wir waren überrascht und erschreckt, plötzlich in dieser scheinbar verlassenen Einöde jemanden sprechen zu hören. Gleichzeitig schnallten wir so langsam, dass wir uns möglicherweise auf Privatbesitz befanden. Schilder hatten wir nicht gesehen beim Einfahren.
Sei's drum! Es ergab sich ein Gespräch. Aus erstem Argwohn und gegenseitigem Vorstellen entwickelten sich gegenseitige Neugier und Interesse.
Es stellte sich heraus, dass das ein alter Militärflugplatz aus DDR-Zeiten war und nun privat genutzt wurde. Somit erklärte sich auch diese Doppeldeckermaschine, die uns so begeisterte.
Der Besitzer des Flugplatzes und offenbar auch der Eigner der Maschine klärte uns auf:
Die Antonov sei der größte Doppeldecker der Welt und diese Maschine noch flugtauglich.
Weitere Bilddokumente aus meiner "Ratsch-Klick"-Kamera (Agfamatic 2000). Ich hab' diese simple Kamera in Studententagen täglich mit mir rumgetragen und machte Schnappschüsse.
Hier seht Ihr den russischen Doppeldecker auf dem Flugplatz bei Jüterbog, einige Aufnahmen vom Schloss Wiepersdorf und ein ausgewähltes Beweisphoto mit der Uni Oldenburg im Hintergrund. Ja, wir waren körperlich anwesend in der Anstalt!
(Photos: K. Teusner)
Alle Bildokumente in Personennennungen mit freundlicher Genehmigung der Protagonisten oder ihrer Vertreter.
Es folgten weitere Erzählungen und Schilderungen zum Flugplatz, seiner Historie und natürlich der Maschine. Leider habe ich keine näheren Erinnerungen mehr an die Begegnung auf dem Flugplatz (Ursache bekannt, wird hier allerdings nicht weiter kommentiert).
Was das Unglaubliche ist, sind genau genommen zwei Dinge: eine menschliche Geste und was Musikalisches.
Große Geste - Der Flug
Nach dem unerwarteten Kennenlernen auf dem Flugplatz schien sich gegenseitige Sympathie zu entwicklen. Es war nämlich so, dass der Besitzer unsere Unterhaltung mit einem Angebot beendete: ob wir denn nicht Lust hätten, morgen mit der Antonov nach Tempelhof zu fliegen. Er würde da landen, hätte was zu erledigen. Wir müßten dann halt mit dem Zug zurück von Berlin nach Jüterbog.
Einfach so. Ohne weitere Bedingungen.
Wir waren platt, haben zugesagt und am nächsten Tag saßen vier aufgeregte Musiker aus Oldenburg in einer russischen Museumsmaschine in Brandenburg und wußten beim Betrachten des Innenraums nicht so ganz, ob es ein gutes Abenteuer werden würde.
Hinzu kam, dass das Ding nicht gleich ansprang und der Pilot sich ein paar blöde Witze mit uns erlaubt hat ("Na, das macht sie öfter. Hoffentlich nicht wieder in der Luft!").
Klappern gehört halt zum Handwerk. Und es klapperte laut!
Es ging alles gut. Logo! Und wir waren selig wie kleine Kinder auf dem Rummel. Das war ein irres Gefühl mit dieser Maschine über die Landschaft zu fliegen. Eine besondere Art, die Hauptstadt zu erreichen und dann auch noch in Tempelhof, dem alten Flughafen zu landen, den wir dann auch noch erkunden konnten.
Tempelhof rückblickend betrachtet: ein richtiges Erlebnis, es so halb verschlafen zu sehen.
Das Antonov Kombinat
Hier eine Auswahl einiger Konzerte mit dem Antonov Kombinat. Muss so um 2003/2004 gewesen sein. Für Alex und mich als Bremen-Norder Jungs war es länger Wunsch und Ziel, wenigstens einmal im legendären Muddy in Vegesack gespielt zu haben. Die schöne Blueskneipe am Vegesacker Bahnhof galt viele Jahre als angesagte Spielstätte für lokale und überregionale Acts der Blues-, Rock,- und Metalszene. Heute existiert das Muddy nicht mehr.
(Photos: privat, Muddy.de)
Band-Projekt
Uns vieren war klar: aus diesem Erlebnis wird Musik geboren. Die Band war im Kern komplett, der Name klar!
Das Antonov Kombinat wurde nach diesem Erlebnis aus der Taufe gehoben und war im musikalischen Wirken ebenso spontan und improvisiert wie das Flugerlebnis an sich. Jan und Jörg waren eingespielt. Alex und ich unsererseits durch ein eigenes Bandprojekt aus Bremen-Norder Zeiten ebenfalls. Außerdem tickten wir musikalisch ziemlich auf einer Welle. Später kam noch ein zweiter Jan als zweiter Hornspieler dazu. Mit dem Bariton brachte er mit mir am Bass die Hosenbeine ordentlich zum Flattern. Jan kam aus meiner anderen Oldenburger Band (ja, die kommt hier sicherlich auch nochmal vor im Blog). Tide, Fraaank und René sorgten später bei unseren Gigs für Tanzparty nach den Konzerten und für ne super einladende Stimmung vor den Konzerten. Tide veranstaltet heute in Bremen immer noch Konzerte und kleinere Festivals. Jan und Jörg sind weiterhin Vollblutmusiker im emotionalen wie monetären Sinne und haben später die Testsieger gegründet. Jan spielt mit Pistole Sologigs am Drum-Set und bedient nebenher Keyboards und schießt Loops ab. Ein Erlebnis. Bis nach Chicago.
Im Bremen Norder Muddy hatten wir ne gute Party mit Live-Set und Tanzparty danach. Wir hatten tollen Support von Big Daddy Wilson und Aron L Flow.
Über die Verbindung zu beiden Musikern werde ich sicher hier auch nochmal zu sprechen kommen. Mit Big Daddy Wilson verbindet mich ebenfalls eine Bremer Band.
Über Jan, den zweiten Hornspieler komme ich zu sprechen, wenn es um meine Leib- und Magenstudentencombo, die Fonkstelle geht.
Tja, und Alex..., mein lieber Freund und musikalischer Begleiter: an Dich denken wir alle nach wie vor immer noch gern und viel. Wir beide haben ein gutes Stückchen zusammen zurückgelegt auf unserem Weg. Danke schön!
Das Antonov Kombinat war ein fröhlicher Haufen mit Musikern, die in der Lage waren, zielgenau aus der Hüfte zu schießen. Improvisation in Puncto Stimmung und Musikkreation waren ein wichtiges Markenzeichen.
Für den Flug nach Berlin revanchierten wir uns später beim Flugplatzbesitzer anlässlich seines Flugplatzfestes, ungefähr ein Jahr später.
Ich glaube, die hatten mit vielem gerechnet, nur nicht mit so'ner Musik und Fanmeute, die wir im Schlepptau hatten. Wir hatten unseren Spaß und bilden uns bis heute ein, dass dies ein wichtiges musikalisch-kulturelles Clashereignis für die Brandenburger war.
Das Antonov Kombinat spielte keine 10 Livegigs in extrem kurzer Zeit. Zu vorzeigbaren Aufnahmen ist es nie gekommen. Die einzigen Tondokumente sind einfache Mitschnitte mit so'nem kleinen Digitalrecorder.
In dieser Zeit glühten wir vor allem live gleißend hell. Was hell glüht, verpasst das Glimmen und erlischt schnell. Das war am Ende auch gut so und für alle ok. Es war ein Projekt. Diese gehen nun einmal zu Ende. Was bleibt sind Freunde und unschätzbare Erinnerungen!
Beim nächsten Mal schreibe ich Euch wieder von weiteren Begegnungen auf JazzBaltica.
Bis dahin bleibt gut im Fluss!
Euer Kai
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