Es gibt Lieblingsalben und es gibt Lieblingsalben. Erstmal kein Unterscheid erkennbar?
Na, ihr kennt das doch auch: es gibt Nuancen, eine Reihenfolge vielleicht.
Also, in meiner Reihenfolge der Lieblingsalben steht das heutige Stückchen Musik ganz weit vorn in meiner Reihe. Emotional, biographisch, wie nicht zuletzt musikalisch.
"Paint it Blue" der schwedischen Band Funk Unit um den Posaunisten, Bandleader und bekannten Künstler Nils Landgren kam im Oktober 1996 in die Plattenläden und ich erlebte ihn kurz danach zusammen mit meinem Kumpel Alex live im Bremer Schlachthof. Alex war es auch, der als Skandinavienfreund diese Platte anschleppte. Wir hatten gerade Billy Cobhams "A Funky Thide of Things" rauf und runter gehört, reichlich besprochen und assoziierten wilde Verfolgungsjagden auf der Golden Gate Bridge. Zur Erholung schwebten wir 10cm über'm Boden mit Jan Garbarek.
Ich war außerdem gerade über Led Zeppelin abgebogen in Richtung James Brown und Maceo Parker und hatte erstmal damit genug Ohren- und Seelenfutter; dachte ich.
Das in gelb-blau gestaltete Digipak der Funk Unit lag irgendwann bei Alex auf dem Tisch und der Silberling war schnell im Player verschwunden. Alex und ich haben einander damals musikalisch an die Hand genommen. Mal brachte er was, mal ich in unsere musikalische Partnerschaft ein. Alex spielte Saxophon, ich Bass und beide gingen wir ein gutes Stückchen zusammen den Weg der musikalischen Biographisierung.
Mit "Paint it Blue" schlug es uns den Boden aus dem vielzitierten Faß. Wir waren von der Rolle. Bis dahin kannte ich den konventionellen Jazz, hatte mich ein bischen mit Hard Bop beschäftigt und entschieden, dass mir der Bebop zu viel war. Das ist bis heute übrigens so.
Ich hörte mich nach der intensiven Rockphase in die Grooves von Bootsy und Larry Goldings rein. Soweit so gut.
Das, was da jetzt aus den Lautsprechern tönte zog uns den Boden unter den Füssen weg.
Sound, Groove, Instrumentierung, Interpretation der Stücke und und und. Kurz: wir waren vom Fleck weg begeistert und der schnelle Blick ins Mix, einem Bremer Veranstaltungsmagazin, offenbarte: der lockere Schwede kommt mit seiner Band nach Bremen. Tickets waren schnell besorgt und die Vorfreude groß.
Album
Ich hatte mir in älteren Beiträgen meines Blogs bereits verordnet, keine Plattenbesprechungen zu machen. Ich muss das hier zu Beginn erneut erwähnen. Zur Erinnerung. Für mich.
Das wird schwer! Ok...
Das Artwork des Albums ist eine Sache für sich. ACT Music macht sich Mühe, ihren Musikern nicht nur ein gutes musikalisches Zuhause zu sein, sondern schafft sich durch das Artwork seiner Veröffentlichungen - ähnlich wie ECM - einen gewissen Wiedererkennungswert und damit eine echte Marke. ACT Music war lange Jahre vor allem wegen der Publikation skandinavischer Musik bekannt. "Paint it Blue" ist auch gestalterisch spielersich-leicht und bricht damit die manchmal verstaubt wirkenden Jazzkonventionen auf: Jazz geht auch bunt. Jazz ist bunt. Wird hierzulande musikgeschichtlich bei der Rezeption dieser Musik oft zu gern vergessen.
Ich mochte die Optik des Albums damals sofort.
Musik, Sound, Instrumentarium
Die Band bestand aus Trommler, Bass, Keyboard, Gitarre, Percussion, Posaune und Sax und bei der Produktion wirkten zusätzlich einige Gastmusiker mit. Diese waren keine geringeren als zum Beispiel Randy und Michael Brecker und Till Brönner.
In Konservenform ging's schon ganz gut ab. Der Mix und Sound begeistern mich noch heute. Ihr wißt ja: jede Dekade oder musikalische Epoche hat durch Manpower, Technologie und Ästhetikverständnis (Mode?) ihren eigenen Sound.
Der Sound von Paint it Blue in Verbindung mit der Neuinterpretation der Stücke aus der Feder von Cannonball Adderley sind zeitlos. Damals wie heute ist das Musik, die in Ausgestaltung und Sound eine breitere Hörerschaft anspricht. Da war ein satter Bass. Erdung. Wärme.
Esbjörn Svensson entlockte dem Fender Rhodes irre Sounds und spielte herrlich psychodelische Phrasen. Das war übrigens mein erster Berührungspunkt mit dem Pianisten. Erst später wurde ich auf sein Trio aufmerksam.
Drumgrooves, der offene, "raumige" und transparente Sound von Drumkit und Percussion schafft mir Luft zum Atmen und die steady, tiefen Bassgrooves von Lars Danielsson (später: Magnum Coltrane Price) führen wie eine Leitplanke durch jede Nummer.
Der Mix des Albums öffnet den Raum.
Die Musik ist bei aller Popassoziation (Sound und Mix) musikalisch und spielerisch bisweilen ziemlich abgecheckt.
Was mich so mitreißt sind diese straighten, treibenden Grooves und obendrauf tanzt der Jazz wie verrückt. Teilweise in irre flinken Inside-Out Linien fegen Nils, Esbjörn und Per Ruskträsk Johansson über den tragenden Groove und dann folgt wieder eine total entspannte Bluesnummer in einer gefühlvollen Interpretation und selbstverständlichen Einfachheit, dass Du glaubst, die Band hätte gewechselt.
Bei "Primitivo" macht Dich in den ersten 40 Sekunden die rhythmische Verzahnung von Percussion-Intro und nachfolgendem Drum-Set stutzig: Hä, was ist denn jetzt?! Mit Einsetzen des Drum-Sets verschiebt sich der Percussiongroove. Ein Effekt, der mich bis heute begeistert. Und es ist ein gerader 4/4 Takt (danke, Nils!), kein Hexenwerk, sondern einfach eine Percussionfigur die Off-Beat angelegt ist. Was nach dem Intro folgt, ist eine sphärisch-psychodelische Jazz-Rock Nummer. Gail! Einfach Gail!
Magnum Coltrane Price spielt auf dem Album zwar erst "nur" Synth und rappt. Dafür übernimmt seine soulige Stimme eine tragende Funktion auf dem Album. Passt prima! Er wird später neben den Vocals vor allem auch charaktergebendes Element am Bass in der Funk Unit. Ich komme in meinem Blog sicher nochmal auf ihn zu sprechen.
Livekonzert
Live habe ich die Funk Unit verschiedene Male gesehen. Zum Beispiel im ehemaligen Ede Wolf aka Roots bei Oldenburg. Ich werde diesen Typen im Publikum mit seinem weißen Lederrockerdress (Jacke und Hose!!!) nicht vergessen. Der rannte da wie falsch abgebogen rum. Hatte aber seinen Spaß. Spricht für die Mucke, würde ich sagen.
Doch mal zum Schlachthof Konzert.
Der Schlachthof ist an sich schon ein toller Konzertort. Richtige Größe. Nicht Club, nicht Riesenhalle, übersichtlich und von der Tribüne alles gut zu sehen.
Das Konzert war eine Offenbarung!
Nils zerlegte spielenderweise seine Posaune am Ende eines Stückes, blies sein Solo am Ende nur noch auf dem Mundstück und dann mit den Lippen weiter und bewegte sich dabei Stück für Stück vom Mikro weg. Es war mucksmäuschenstill im Konzertraum.
Danach machte er in gebrochenem Deutsch ein paar Witze über die Kauflust einer gewissen deutschen Urlauberklientel, was Ferienhäuser auf Värmland angeht und sie zockten fröhlich weiter ihr Programm durch.
Es gäbe noch viel zu schwärmen von Konzerten der Funk Unit.
Ich belasse es nach der Posaunensolosache aber bei noch zwei Dingen und dann zieht Euch einfach das Album rein.
Esbjörn saß bei diesem Konzert am linken Bühnenrand halb mit dem Rücken zum Publikum, so dass wir ihm auf die Tasten und Finger schauen konnten. Esbjörn trug zu dieser Zeit noch langes Haar, was er mit einem Stirnband zusammenhielt. Seine Soli begleitete er den Kopf tief gebeugt über den Tasten.
Sein Spiel und die leidenschaftliche Hingabe waren schon damals herausragend und fesselnd. Ich erlebte ihn später noch einige Male mit seinem Trio in ganz ähnlicher Leidenschaft.
Als Musiker hast Du bisweilen abgeklärten Abstand zu emotionalen Regungen oder überschwänglicher eigener Begeisterung, das jedoch fasziniert und motiviert mich bis heute.
Ich bin sogar geneigt, erneut den abgegriffenen Begriff der Inspiration an dieser Stelle zu gebrauchen. Einige erinnern sich: ich hatte es in einem Blog bereits schon einmal erwähnt.
Dann ist da Magnum Coltrane Price. Ich sehe ihn in meiner Erinnerung im Bremer Schlachthof rechts auf der Bühne vor seinem Ampeg Turm stehen. Cool Cat, hip, Baggy Pants, Cap, Bart (ja, gab's damals auch schon), Bass und dann diese gaile Soulstimme. Hat sich irgendwann die Bässe von Bert Gerecht (Hotwire Bass) bauen lassen. Teilweise in Sonderanfertigung mit eingebautem Wah-Wah Effekt und auch mal nen Bass mit nur drei Saiten.
Über MCP werde ich wohl noch gesondert zu sprechen kommen.
Wer hungrig geworden ist, bemüht einfach das Netz und googelt sich ein paar Livekonzerte der Funk Unit raus.
Ich klink mich raus für heute und setz mir die Kopfhörer auf.
Ahoi und bis zum nächsten Mal!
Euer Kai
Das Album "Paint it Blue" auf Spotify.
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