Der Künstler neben mir - Teil 6


Der weiße MP3Player von Ravi Coltrane

 

Ich stehe in der Lobby des Steigenbergers in Kiel – es ist Samstag früher Abend, das Festival ist seit zwei Tagen in vollem Gange - und ich warte auf den nächsten Künstler, den ich zum Gig nach Salzau fahren soll. Ich weiß nur namentlich, wer da gleich kommt und bin gespannt, wie er aussieht.

Wie sein Vater? Wie ähnlich ist er ihm?

Ich habe Ravi Coltrane noch nie wirklich wahrgenommen, geschweige denn, ihn musikalisch sorgfältig unter die Lupe genommen. Ich weiß nur, daß er einen großen Namen trägt, einen Namen, der Innovation, Schmerz und vor allem Spiritualität in sich trägt:

 

- Coltrane -

      

Ich warte einen Augenblick und entschließe mich einige Minuten später, mich von der freundlichen Dame an der Rezeption melden zu lassen.

Ich warte nicht mehr lange und es kommt Ravi Coltrane um die Ecke. Ein jugendlich wirkender, chic, aber nicht overdressed gekleideter Mann mit Rucksack und Saxbag unter’m Arm.

Understatement!

Er trägt sein Horn lieber selber und geht freundlich die Hand zum Gruße reichend die wenigen Meter neben mir zum Wagen. Auf der Nase eine modisch-schwarze Guccibrille. Neoexistentialistisch!

Ich erkundige mich routiniert nach seinem Befinden und er antwortet ebenso standesgemäß wie viele andere dieser Tage: „Thanks, little bit tired.“

 

Als wir mit der schwarzen Limosine losfahren nestelt Ravi neben mir in seiner Tasche nach Kopfhörern, wie er mir sein unstetes Suchen erklärt, findet sie schließlich und beginnt Stücke, die er offenbar wenige Minuten später zusammen mit Jack DeJohnette und Palle Danielsson auf der Bühne spielen soll, von seinem weißen iPod abzuhören.

In wenigen Augenblicken scheint er vollkommen versunken in der Welt von Chords, Notenwerten, Haltebögen und Pausenzeichen. Mit einem Stift in der Hand markiert er sich auf dem Sheet das eine oder andere. Mir bleibt leider nicht die Zeit, genauer hinzusehen. Ich habe die Straße als meinen Lead-Sheet vor mir.

Ravi erspart mir aber den äußerst fragwürdigen Spagat zwischen sicherem auf-die-Straße-gucken und in die Noten linsen: Er fängt an zu summen.

Noch selbstvergessener als zuvor senkt sich sein Kopf den Noten entgegen, den Rucksack umständlich irgendwo zwischen Oberschenkel und Unterarm geklemmt und lauscht und notiert und summt und lauscht und summt und notiert.

 

Ungefähr nach der Hälfte der zu bewältigenden Strecke hält er inne, sieht flüchtig auf und entschuldigt sich bei mir in diesem klaren Moment der Rückkehr in das Hier&Jetzt.

Ich bin so überrascht, daß mir die richtigen Worten zur Antwort fehlen und stammle nur so was wie: „Oh no, äh, no problem, it’s ok. I listen to you.“

 

Er versinkt wieder im Hören, Summen und Notieren und alles ist wie zuvor. Ich fühle mich behaglich wohl und fast schon ein bißchen geborgen, weil dort jemand die sensibel-zerbechliche Atmosphäre einer langen Fahrt zweier Fremder durch das Wunderbarste der Welt ausschmückt: Musik!

 

Als wir das Gelände in Salzau erreichen und wir vor dem Backstage der „Big Barn“ halten, verabschieden wir uns, indem er sich erneut für sein Gesumme entschuldigt und ich ihm ein „Have fun tonight“ wünsche.

Ich erinnere mich noch, wie er daraufhin kurz zögert und dann lächelnd „Thank you“, sagt.


Straight Jack

 

In Salzau laufe ich Jack DeJohnette das erste Mal in der Nähe des Buffets über den Weg. Er steht dort mit seinen Sidemen und ich beobachte, wie er mit ihnen über die Planung der nächsten Stunden spricht.

 

„Well, go around. Enjoy the time! ... Yes, make something. We’ve got the next hours off.“

 

Er wirkt dabei wie der großzügige Onkel, der den Kindern der Familie für einen Moment alle Türen öffnet und ihnen Freiheit gibt. Schmunzelnd beobachte ich, wie sich die wesentlich jüngeren Musiker um den legendären Schlagzeuger mit der unscheinbaren Brille geschart haben, um diese Worte mit leichter Verwirrung entgegen zu nehmen. Offenbar hatten sie harte Arbeit, Proben, weitere Aufgaben von Ernsthaftigkeit und Strenge erwartet.

 

Das nächste Mal sitzen wir zusammen im Wagen und fahren von Salzau nach Kiel ins Hotel. Seine junge Band hinten, Jack neben mir auf dem Beifahrersitz.

Während der Fahrt bestätigt sich, was ich damals schon auf dem Konzert daheim in Oldenburg geahnt hatte. Jack DeJohnette scheint ein sicherlich nicht humorloser, aber kalkulierender, gefaßter und gemäßigter Typ zu sein. Die Art wie er sich gibt und damals die Ansagen auf dem Konzert kamen und nun die Wortfetzen, die ich während der Fahrt aufnehme, lassen darauf schließen, dass da wer straight und gelassen ist.

Ich möchte wissen wie er auf folgende Äußerung reagiert: „I’ve seen you with John Scofield and Larry Goldings in Oldenburg. You played a Tribut to Miles and then the Hammond blew up.“

Jack erinnert sich sofort und ich locke ihn aus seinem Wartehäuschen. Er lacht und gibt seinen Mannen im Hinten des Wagens ein paar Randinfos und erzählt noch mal etwas umfangreicher die Geschichte mit der Hammond und dem rauchenden Lesley.

Die Geschichte bringt einige Heiterkeit auf der Fahrt zum Hotel.

 

Irgendwas fragt mich Jack noch über Oldenburg. Ich glaube so was, ob die Stadt sehr klein sei, oder so. Auf jeden Fall lenkt Jacks Frage in Richtung Oldenburg und ich gebe ihm ein paar Eckdaten. Er fragt mich, was ich denn hier tue soweit von meiner Wahlheimat weg und ob es mit meinem Studium zusammenhänge, von welchem ich ihm kurz vorher im Zusammenhang mit dem Oldenburger Studentenstadtbild erzählt habe.

„No, not really. I’m doing this because it’s good for the soul and the heart. Some Soulfood for me!“

„Oh yes, i understand. That’s good. Great.“

 

Ich denke, er versteht, worauf es mir ankommt, bleibt den Rest der Fahrt aber derjenige, als den ich kennengelernt habe: Straight Jack.


Das Haffner Beach Mobil ...

 

... braucht seine Zeit, ehe es zu dem wird, als was ich es in Erinnerung behalten werde. Immer wieder kommen Johannes und Andi zu mir und äußern den Wunsch, ans Meer fahren zu wollen und zu baden. Liebend gerne würde ich, weiß aber mittlerweile, daß durch Fahrer weitertransportierte Künstlerwünsche (siehe Stadtbummel mit Hank) nur peripher vom Büro wahrgenommen werden, versuche es aber trotzdem noch einmal und ernte ein müdes Lächeln der Kollegen im Büro. Ich schlage Johannes und Andi vor, sich selber im Büro darum zu kümmern. Die Wirkung würde größer sein, wenn sie selbst anfragen. Diesen Effekt kenne ich bereits aus der Erfahrung mit Hanks Einkaufsausflug.

Endlich dann – etliches Bitten und Fragen später – ist es soweit. Vor dem Büro stehen Andi, Wolfgang und noch einige seiner Truppe bewaffnet mit Handtüchern und Flip Flops. Johannes steht noch neben mir im Büro, während mir großmütig mitgeteilt wird, ich dürfe mit einigen Künstlern zum Strand fahren. Die Tatsache, daß ich längst von der Idee weiß, macht die Situation mindestens komisch.

Egal, ich packe alle in den Van und los geht’s gen Kalifornien; so heißt tatsächlich eine Badeecke an der holsteinischen Küste.

Johannes sitzt neben mir, Andi einen Sitz hinter mir, dann kommen die Übrigen mit Wolfgang ganz hinten. Alle sind entspannt und gut gelaunt, freuen sich auf’s Wasser.

Auf der Hinfahrt bekomme ich allerdings nicht viel mit von den Jungs, bin wieder viel zu beschäftigt damit, die richtige Strecke abzufahren. Hier und da schnappe ich von dem einen oder anderen ein „Boa, is das geil!“, oder „Echt schön hier, mann!“ auf. Ansonsten heißt’s für mich: aufgepaßt!

Als wir einige Zeit unterwegs sind, in einen Kreisverkehr fahren und jemand von hinten „Irgendwie habe ich das Gefühl, wir fahren im Kreis!“ ruft, werde ich nervös. War das ernst gemeint? Bin ich wieder vom Weg abgekommen, wie in meiner ersten Tour mit den Finnen? Die erste Fahrt mit den Finnen vom Flughafen nach Salzau war auf verchiedenen Ebenen, keine Gute. Für alle im Wagen.

Ich ziehe einmal die Stirn kraus, blicke in den Rückspiegel und bemerke ein paar schmunzelnde Gesichter.

Kreisverkehr, na klar! Haha!

 

Als wir endlich ankommen, ich das Glück habe, direkt am Deich einen Parkplatz zu finden und wir nun auf dem Deich stehen und wenige Meter weiter die ruhige Ostsee an den Strand plätschert, sind wir alle oben auf.

Wie kleine Kinder freuen sich die Musiker. Wolfgang entfernt sich ein paar Meter zum Umziehen. Alle anderen klappern den Strand wie Muschelsucher ab und gehen dann auch ins Wasser. Ausgelassenes Rumgejohle und herzerfrischende Freudenschreie.

Ich bleibe, weil ich vollkommen unequippet bin, trockenen Fußes am Strand und genieße einen wunderschönen Ausblick in die Weite.

Als das Wasser zu nass wird und einige der Jungs ein Beachvolleyballnetz und ein paar Strand-Surf-Hippies vor ihrer Bretterbude entdecken, ist klar, was ich zu tun habe: Nach einem munteren „Moin!“ an die Surfgang kehre ich mit einem Volleyball zurück und los geht’s. Die Stimmung ist ausgelassen. Urlaub!

 

Auch die Rückfahrt bleibt sorgenfrei und lustig. Die Meute beginnt im Wagen ein Ratespiel der Sparwitzart: „Was heißt es auf Finnisch, wenn die Sonne untergeht?“

Antwort: „Helsinki!“

Tosendes Gelächter, nicht weil es wirklich witzig ist, sondern weil da wer gerade besonderen Geschmack für Sparwitze bewiesen hat. Situationskomik.

 Die Band legt am Abend einen locker-relaxten Gig hin. Ostsee sei Dank?!


Wir steuern stramm gegen Ende meiner Salzaueindrücke zu. Nach meiner Erinnerung paßt es noch für einen Blogbeitrag. Ob dieser nächste Woche erscheint oder ich mich für einen kurzen Schlenker entscheide, bleibt eine Überraschung.

 

Bis dahin bleibt im Groove!

 

Euer Kai

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