Hannover Linden. Irgendwo in einer Nebenstraße gehen zwei Typen spazieren. Der eine längeres, lockiges Haar; Mischung aus zerstreuter Professor und Künstler. Mindestens 1,5 Dinge davon erinnere ich als zutreffend. Der zweite -zumindest die Haartracht betreffend - das exakte Gegenteil. Wenn ich mich recht erinnere, befinde ich mich in der Übergangsphase von extremer Kurzhaarfrisur - auch Glatze genannt - und Pomadenhairdressing.
Anyway… Matze und ich geniessen einen Tag in Hannover. Matthias studiert hier. An der Hochschule. Matze spielt Trompete, ist ein bekennender Miles Davis- und Quincy Jonesfan. Ein Typ mit ausgesuchtem Musikgeschmack und oft offenem Geist, was die Wahl der Musikstile angeht.
Er wohnt in Linden in seiner Studentenzeit und ich besuche ihn damals häufiger. Semesterticket sei dank. Easy! Einmal ist es ein Pat Metheny Konzert (Imaginary Day Tour) im Capitol, dann wieder einfache Treffen zum Schlendern, essen gehen und Musik hören. Wie Freundshcaft halt so geht.
Auch Matthias verdanke ich einige wertvolle und und für mich bedeutsame Musikempfehlungen. Stilübergreifend und frei von Kopfgrenzen. Die Diskussion der Sinnhaftigkeit der akademischen Trennung von U- und E-Musik haben wir längst in der Schulzeit abgeschlossen. Matthias war ein Jahrgang über mir und spielte vor dem Unzug nach Hannover Keyboard und Trompete in der damals in Bremen rührigen Band Gastric Groove. Zusammen mit Günther und Michael. Alle drei fanden bereits in dem einen oder anderen Artikel Erwähnung.
Was ist eigentlich Trip Hop, worin liegen der Reiz und die Ausdruckskraft elektronischer Musik und wie gail is eigentlich die lakonisch-coole Stimme der Sängerin bei Moloko? Das waren so Fragen, die wir zusammen bewegten.
Die aus dem vereinigten Königreich - genauer Sheffield - stammende Zweierbesetzung bestehend aus Róisín Murphy, besagter Sängerin, und dem Produzenten Mark Brydon beantwortet vor allem die Frage nach der Ausdruckskraft, Energie, Spannung und dem Groove. Letzteres für mich (als Bassist) immer wieder der Hauptreiz an Musik. Alles was groovt ist erstmal gut! Egal welcher Stil.
Matze und ich ziehen um die Häuser in Linden, diskutieren bei Bier und Essen, spazieren durch den nahegelegenen Park an der Ihme und quatschen und quatschen. Ich kann beim besten Willen beim Schreiben derzeit keine konkreten Inhalte mehr erinnern, weiß allerdings, dass ich den Austausch immerhin so belebend fand, dass regelmäßige Fahrten von Oldenburg nach Hannover eine Zeit lang kein Hindernis für mich waren.
Moloko brachte das „Tight Sweater“- Album ´95/´96 auf den Markt und schien damit zunächst die Musikszene in Kennerkreisen zu befeuern. Chartplatzierungen erreichte das Album lediglich in GB und nur der Einzeltitel „Fun for me“ durch den Einsatz im „Batman&Robin“-Film. Erst das Folgealbum ´98 brachte auch in Deutschland nen Charteintrag. Wenn auch erstmal nur für eine Woche (Quelle: Wikipedia).
Collaterales Wissen, was ich mir auch erst jetzt für die Recherche erlesen habe. Für mich damals vollkommen unerheblich, wer da wann, wo auf welchem Platz in den Charts war.
Ich war noch ziemlich festgelegt auf sogenannte handgemachte Musik mit konventionellem Rock- und Jazzinstrumentarium. Molokos „Tight Sweater“ war auf jeden Fall ein wichtiger Baustein in meinem musikalischen Blickfeld und erweiterte den Horizont immens. Ich mußte mich erst reinhören und rantasten. Nicht alles auf dem Album zündete. Bis heute nicht. Sei’s drum.
Um so mehr begeisterten und fesselten mich dafür einzelne Grooves, Patterns und der Umgang mit der Stimme (mit Effekten). Der Vocalgroove in den Strophen bei „Day for Night“ ist krass catchy und reißt mich voll mit. Das Zwiegespräch in der ersten Strophe mit dem Synth oder Stimmvocoder erzeugt eine wogende Welle von Vibe und Groove.
Noch krasser ist der Vocalgroove bei „Fun for me“. Auch hier isses die Strophe, die durch den Sprechrhythmus voll zündet und ein irres Feeling zwischen Offbeat und Backbeat erzeugt. Der Wurstbass zieht voll ab und den Song in einen mitreissenden Groove.
Es gibt Alben, die sind zeitlos in ihrer Art und Gestaltung.
Produktionstechnisch wirken Sound und Songmaterial vom „Tight Sweater“ auf mich heute eben genau so zeitlos. Es funktioniert immer noch. Ich vermisse klanglich nichts. Luftig, Raum, Hall und doch substantiell. Das die beiden Musiker es akustisch auch ganz gut können, durften wir einige Jahre später unter anderem mit „It’s nothing“, „The time is now“ feststellen.
Das, was mich damals schon schnell begeisterte waren Sound und Atmosphäre des Albums. Wenn ich es heute höre, ist das unverändert. Immer noch sind es mehr der Vocalgroove und die Soundarrangements als jetzt speziell DER Bass oder DIE Keyboards, die mir beim Hören ins Ohr gehen.
Arrangement von Sounds als bannender Höreffekt und tragende Stimmung wurden zwei Erkenntnisse, die mir in der elektronischen Musik durch dieses Album deutlich wurden.
Ich habe hier noch drei weitere Alben aus dem Segment liegen. Beim nächsten Mal reiche ich noch eines davon ein und unterbreche dann wohl mal mit’nem krassen Kontrast. Dann geht’s wieder nach Bremen Nord, wenige Jahre zurück und es wird ziemlich improvisatorisch.
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